Die Stille nach dem Ton by Michael Marrak

Die Stille nach dem Ton by Michael Marrak

Autor:Michael Marrak [Marrak, Michael]
Die sprache: deu
Format: epub


Unvermittelt herrschte Stille.

Der Übergang geschah so plötzlich, daß das Mörder-Konzert der Insekten noch ein paar Sekunden im Raum nachhallte, ehe es endgültig verstummte. Das Bild des Fernsehers hatte sich in ein weißes einförmiges Leuchten verwandelt, als hätte sich ein winziger strahlender Stern in der Bildröhre eingenistet.

»Na, endlich«, erklang Gottes Stimme aus dem Licht, »das wurde auch langsam Zeit!«

Radiant schluckte und sah aus dem Fenster, auf den Verkehr und die Bewegungen der Menschen.

»Keine Sorge, du träumst nicht«, sprach Gott.

»Der Mann im Park«, erregte sich Radiant, »was hast du mit ihm gemacht?«

»Setz dich!« forderte das Licht auf.

»Ich habe dich etwas gefragt.«

»Du kennst die Antwort, also setz dich.«

Radiant ballte die Hände zu Fäusten, entspannte sich wieder und ließ sich in den Sessel fallen. »Warum nur ihn allein? Weil er doch noch etwas wußte?«

»Nein, weil es notwendig war. Der Plan korrigiert sich selbst.«

»Dann hast du mit den Bäumen einen Fehler begangen?!«

»Mitnichten. Ich mußte lediglich etwas Eindrucksvolles defragmentieren, um dich aus deinem Glaubenspanzer zu locken. Mit Erfolg, wie du siehst: Wir kommunizieren in der realen Welt …«

»Aber warum den alten Mann? Hätte ich ihm womöglich die Erinnerung wiedergeben können?«

»Du klingst so vorwurfsvoll, als hätte ich ihn – getötet; als hätte ich die Bäume vernichtet, euer Wissen geraubt und die Hunde beseitigt. Du irrst. Dein Denken ist zu simpel und alles Unbekannte eine potentielle Gefahr. Leben oder Tod, sichtbar oder unsichtbar, haben oder nicht, schwarz oder weiß, gut oder böse. Andere Spezies sind aufgeschlossener, und dabei macht es keinen Unterschied, ob sie gegenüber euch niederer oder höherer Natur sind. Sie sind, und wissen, daß dies nicht nur auf einer Ebene stattfindet. Ihr aber lebt begrifflich noch immer auf einer Scheibe, obwohl ihr bewiesen habt, daß eure Welt eine Kugel ist. Seit ihr euch einbildet, alles von oben betrachten zu können, hat eure Welt ihren Zauber verloren. Es gibt kein Ultimathule mehr, keine Abgründe am Weltenrand, von denen ihr in bodenlose Tiefen stürzt, und keine sagenhaften Strudel am Ende der Welt. Ihr schwebt über allem, doch euer Himmel ist schwarz, anstelle von Göttern wißt ihr nur von Kälte, Leere und Finsternis. Eure Tiefen der Hölle bestehen aus Dreck und totem Gestein, die Tempel für eure Götter sind hohle, kalte Monolithen.

Aber um auf den alten Mann zurückzukommen: den hast du defragmentiert.«

»Ich?« Radiant war aufgesprungen. »Mich willst du für sein Verschwinden verantwortlich machen?«

»Natürlich. Ein hervorragender Einstand für unsere künftige Zusammenarbeit.«

»Du verfluchtes …!«

»Aber, aber … Redet man so mit seinem Gott?«

»Du bist kein Gott! Du bist – überhaupt nichts, nur eine größenwahnsinnige, selbstgefällige Stimme in einem defekten Fernseher, getrieben von einem übersteigerten Selbstwertgefühl!«

Aus dem Leuchten drang ein belustigtes Lachen. »Kleiner Mann«, sprach Gott nach einer Weile des Schweigens, »willst du mich etwa definieren?«

»Ich werde dich reparieren!« knurrte Radiant. »Dein Programm hängt mir zum Hals raus! Es ist bereits drei Uhr, der Elektriker wird jeden Moment hier sein.«

»Bedaure, das wird er nicht«, entgegnete Gott.

»So? Und warum nicht?«

»Weil ich mir erlaubt habe, die Fernsehmechaniker zu defragmentieren.«

Schweigen.

»Du hast was?« krächzte Radiant.

»Nichts für ungut, setz dich wieder. Bald wirst du die Zusammenhänge und den Sinn des Programms verstehen.



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